Kritische Anmerkungen zur Dokumentation Quartiersspaziergang 29.08.2019

S.5:

Durch einen gesunden Mix aus Freiflächen und bebauten Flächen soll eine standortgerechte Nachverdichtung geschaffen werden.“

  • Nachverdichtung bedeutet hier die Vernichtung eines seit Jahrzenten unbebauten, ökologisch wertvollen Areals mit altem Baumbestand und wichtiger Klimafunktion.

„Zudem werden mit dem neuen Wohnquartier Impulswirkungen zur Belebung der Ortsteilzentren, zur Modernisierung von Wohnungsbeständen und zur Reduzierung von Leerständen für Gerthe und Hiltrop erhofft.“

  • Wie soll durch quantitatives Wachstum eine qualitative Verbesserung der Infra- und Wohnstruktur im Ortskern von Gerthe entstehen? Durch die Planung einer eigenen Versorgungsstruktur im Neubaugebiet ist nicht von einer verstärkten Kaufnachfrage in Gerthe Mitte auszugehen. NRW Urban und die Stadt Bochum beschreiben diese Entwicklung selber lediglich als „Hoffnung“.

Abbildung 1:

Die eingezeichnete Planfläche umfasst Gebiete, die nicht bebaut werden dürfen wie z.B. Garten und Regenrückhaltebecken der Kirche. Weiter Grundstücke befinden sich im privaten Besitz und sind bereits mit Wohnflächen bebaut (Hiltroper Heide, Hiltroper Landwehr – Autohaus HWS).

S.7:

„Erfreulicherweise stieß die Veranstaltung aufgrund der breiten Informationspolitik auf

eine große Resonanz. Nach Schätzungen der Veranstalter nahmen ca. 200 – 250

Personen an der Begehung teil.“

  • Die hohe Teilnehmerzahl von ca. 350 Gerther und Hiltroper Bürgern (eigene Zählung) zeigt den großen Widerstand gegen die Planung. Dies war auch deutlich während der gesamten Veranstaltungsdauer durch die öffentlichen Redebeiträge zu spüren.

S.8:

„Daneben teilte sich der große Teilnehmerkreis immer wieder auch in kleinere Gesprächsrunden auf. Wenngleich dies nicht den Vorstellungen aller Teilnehmer entsprach, konnten hierdurch viele aufschlussreiche Gespräche zwischen den Bürgern und den Organisatoren entstehen.“

  • Die Veranstaltung war schlecht organisiert und in keinster Weise auf die große Teilnehmerzahl vorbereitet, da jedes technische Equipment fehlte. So waren keine angemessene Diskussion und Austausch möglich.

S.13:

„Für die Aufnahme des Projektes „Gerthe-West“ in das städtische Wohnbauflächenprogramm wurde ein Betrachtungsraum von ca. 17 Hektar gewählt. Der in dieser Dokumentation dargestellte Umriss des Projektgebietes bezieht sich auf den Entwicklungsträgervertrag zwischen der Stadt Bochum und NRW.URBAN und umfasst ca. 11,6 Hektar. Alle Tätigkeiten von NRW.URBAN sowie der beauftragten Planungsteams und Gutachten beziehen sich auf diesen Gebietsumriss. Die Betrachtung und Einbindung des Umfeldes zum Gebietsumriss steckt in der Natur der Sache.“

  • Welche Flächen sind aus dem Planungsgebiet gestrichen worden und welche Begründung gibt es dafür?

„Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass ein Wohnungsunternehmen bereits seit mehreren Jahrzehnten ein Grundstück in unmittelbarer Nachbarschaft des Plangebietes östlich der Sodinger Straße besitzt. Ein großer Anteil der Flächen im Planungsgebiet befindet sich im Eigentum der Stadt Bochum.“

  • In einer offiziellen Präsentation der Stadt Bochum im Rahmen der Bürgerbeteiligung zur Entwicklung des Verwaltungsgebäudes der Zeche Lothringen wurde im nördlichen Planungsbereich bereits eine ASB Fläche/Vonovia ausgewiesen, die deutlich auch das Gebiet südwestlich der Sodinger Straße beinhaltet. Welche Bedeutung hat diese Folie für die aktuellen Planungen zu Gerthe West?
  • Wieviel Prozent des Projektgebietes befinden sich in Privatbesitz?

S.14:

„Viele Teilnehmer stellten beim Quartiersspaziergang infrage, ob die Stadt Bochum

überhaupt neue Wohneinheiten in größerer Zahl benötigt“

  • Fast alle Teilnehmenden des Quartiersspaziergangs stellten die Notwendigkeit zur Neubebauung in Frage.

„Manche Anwohner befürchten, dass es durch die beschlossene Quote von mindestens 30 Prozent öffentlich gefördertem Wohnraum zu einer Konzentration von einkommensschwachen Haushalten komme.“

  • Wenn man den Anliegern des Plangebietes unterstellt, dass sie sich gegen eine Konzentration von einkommenschwachen Haushalten aussprechen, so wird von Seiten der Stadt völlig ignoriert, dass in Hiltrop bereits geförderter Wohnungsbau von 90% über dem städtischen Durchschnitt besteht. Die Menschen im Bochumer Norden haben schon immer über alle Einkommensgruppen hinweg in guter und sozialer Nachbarschaft gelebt.
  • Gerade durch die Situation, dass im Bochumer Norden überdurchschnittlich viele einkommensschwächere Familien leben, hat die Bedeutung des Pantoffelgrüns vor der Haustür einen ganz besonderen Stellenwert. Gerade um die Lebensqualität dieser Familien nicht zu verschlechtern ist der Erhalt dieser Grünflächen zur Erholung wichtig.

„Neben solchen grundsätzlichen Zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Projektes „Gerthe-

West“, gab es allerdings auch Zustimmung für das Projekt, da Wohnraum für junge Familien, Studenten sowie Senioren in Bochum fehle.

  • Die eindeutige Stimmungslage während des Spaziergangs war gegen eine Bebauung. Zuspruch wurde hauptsächlich von politischen Vertretern der Stadt eingebracht.
  • Studierende wollen nicht im Bochumer Norden, sondern in zentralen und uninahen Quartieren leben.

S.15

„Auf diesem wurden in den letzten Jahren Fehlentwicklungen festgestellt: Die signifikante Abwanderung von Bochumer Haushalten in die Nachbarstädte sowie eine zunehmende Dynamik in der Grundstücks- und Immobilienpreisentwicklung sind lediglich zwei Indikatoren, an welchen sich das Missverhältnis zwischen Wohnraumangebot und -bedarf in Bochum ausdrückt. Mit einer aktiven Wohnungspolitik möchte die Stadt Abwanderungstendenzen verschiedener Bevölkerungsgruppen entgegenwirken und Überschwappeffekte aus umliegenden Kommunen nutzen.“

  • Wie hoch ist die Ab- und Zuwanderungsquote zwischen Bochum und den Nachbarstädten? Bislang hat die Stadt uns keine Zahlen zur Verfügung gestellt.
  • Welche Bevölkerungsgruppen zeigen Abwanderungstendenzen?
  • Die Rede von Überschwappeffekten aus umliegenden Kommunen zeigt einmal mehr, das Kirchturmdenken der Stadt Bochum. Eine lebensqualitätsbezogene Entwicklung unserer Region kann nur gemeinsam mit allen Kommunen mit dem Blick auf Erhalt von lebensnotwendigen Grünflächen und Frischluftschneisen entwickelt werden.

„Dies verdeutlicht auch die Leerstandquote von 2,8 Prozent, die leicht unterhalb der empfohlenen Leerstandsreserve von 3 Prozent liegt.“

  • Die ruhrFis Studie (RVR) beschreibt in ihrem Wohnungsmarktbericht eine Leerstandsquote von 3,9% und empfiehlt eine qualitative Wohnungsentwicklung (Altbausanierung). Für Bochum wird kein Neubaubedarf ausgewiesen.

„Dabei ist wichtig, dass auch genug bezahlbarer Wohnraum entsteht.“

  • Der Mietspiegel in Bochum Nord liegt bei ca. € 6,80, die Miete für öffentlich geförderten Wohnraum bei ??. Im Neubausegment liegt nicht geförderter Wohnraum ab 10€ aufwärts. In Bochum ist ausreichend bezahlbarer Wohnraum vorhanden.

S. 16

„Von dem neuen Quartier sollen zudem Impulswirkungen für die beiden Stadtteile Hiltrop und Gerthe – beispielsweise in Bezug auf mögliche Sanierungsvorhaben im Bestand – ausgehen.“

  • Die beschriebene Impulswirkung zur Sanierung auf Vermieter kann nur durch wachsenden Leerstand erzeugt werden. Genau dies widerspricht dem beschriebenen Wohnungsbedarf. Die Abwerbung von Mietern aus den Bestandsgebäuden und eine Leerstandserhöhung scheint Teil des Konzepts zu sein.

„Viele Anwohner des Plangebietes empfinden die Verkehrsbelastung bereits heute als zu hoch.“

  • Dies ist keine reine „Empfindung“ der Bürger, sondern wird durch das Verkehrskonzept Nord der Stadt Bochum aus Februar 2019 belegt. In diesem Konzept ist die Planung für das neue Baugebiet noch nicht berücksichtigt.

S.17

„Aus diesem Grund wird eine Verkehrsuntersuchung beauftragt.“

  • ie soll ein neues Verkehrskonzept unter Berücksichtigung der geplanten Bebauung und somit wachsendem Verkehr jetzt eine Lösung des Problems aufzeigen?

„Im Rahmen der Fahrplanumstellung 2020 ist für die Straßenbahnlinien in der Hauptverkehrszeit eine Taktverdichtung auf 7,5 Minuten bis zur Haltestelle Heinrichstraße vorgesehen, um die Leistungsfähigkeit dieser zu den Stoßzeiten viel genutzten Verbindung zu erhöhen.“

  • Leider ist das nur die halbe Wahrheit, da ab der Haltestelle Gerthe Mitte die Taktung von 10 Minuten auf 15 Minuten verlängert wird und sich somit für die potenziellen neuen Bürger des Wohngebietes deutlich verschlechtert.

S.19

„Durch Klimamodellierungen soll beispielsweise untersucht werden, welche Bedeutung die Freiflächen für die Luftströmungen in dem Gebiet besitzen und durch welche Maßnahmen (z. B. einer bestimmten Anordnung der Gebäude) diese Funktionen erhalten bleiben können. Da das Stadtteilzentrum von Gerthe im Klimaanpassungskonzept der Stadt Bochum als Gebiet mit einer starken Hitzebelastung ausgewiesen ist, soll eine Verschärfung dieser Situation durch die Baulandentwicklung vermieden werden.“

  • Eine Frischluftschneise verläuft grundsätzlich über Grünflächen. Nur so kann sie ihren kühlenden Effekt erzeugen. Windkanäle über versiegelten Flächen sind kein Ersatz, sondern Verteiler der Hitzebelastung.
  • Das Abholzen von mehr als 400 alten Bäumen ist eine Katastrophe für das zukünftige Lokallima, da der kühlende und feuchtigkeitsspendende Effekt durch keine andere Maßnahme wie z.B. Straßen- und Dachbegrünung ersetzt werden kann.
  • Durch die Verstärkung und Vergrößerung der Hitzeinseln in Gerthe-Mitte und am Schulzentrum wird bewusst eine Gesundheitsgefährdung von chronisch kranken und älteren Bewohnern erzeugt.

S.20

„Für den Bereich des ehemaligen „Kirmesplatzes“ im Süden des Plangebietes wurde vorgeschlagen, dort ein Denkmal für die Opfer des früheren NS-Zwangsarbeiterlagers zu errichten.“

  • Diese Darstellung ist nicht korrekt. Das Schulprojekt „Kohlengräberland“ hatte beim Rundgang angeregt, den Platz nicht zu bebauen, eine Umbenennung in „Leon Lewandowski Platz“ vorzunehmen und die noch vorhandenen Relikte in ein zukünftiges Denkmal einzubeziehen.

S.21

„Einzelne städtebauliche Betonungen sind möglich, wobei die seinerzeit in der Ratsvorlage erwähnte sechsgeschossige Bebauung einen Höchstwert darstellt, dessen Umsetzung keineswegs feststeht. So ist zum Beispiel im öffentlich geförderten Wohnungsbau in den Förderrichtlinien des Landes NRW eine Begrenzung von vier Vollgeschossen vorgeschrieben.“

  • Auch in dieser Aussage wird nicht von einer sechsgeschossigen Bebauung eindeutig Abstand genommen.
  • Bei der Aussage bzgl. einer Begrenzung auf vier Vollgeschosse im öffentlich geförderten Wohnungsbau wird das Staffelgeschoss und somit eine fünfgeschossige Bebauung verschwiegen.
  • In der gesamten Umgebung des Plangebietes besteht ausschließlich eine zwei- dreigeschossige Bauweise.

S.22

„Das beauftragte Moderationsbüro führt in den kommenden Wochen Schlüsselpersonengespräche durch, die der Sondierung der unterschiedlichen Positionen und der Schaffung einer ersten Vertrauensbasis dienen.“

  • Unklar bleibt wer „Schlüsselpersonen“ sind und mit wem hier konkret das Gespräch gesucht wird – nur Institutionen, Vereine und öffentliche Träger oder auch konkret die Anrainer des Plangebietes, Bürgerinitiativen, Projekt Kohlengräberland und Ähnliche.

Sabine Schoening & Gerd Henke

 

Quartiersspaziergang mit NRW Urban – Kritische Anmerkungen
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